Am Samstag fand der Festakt zum 125.Geburtstag des SPD-Ortsvereins im Bürgersaal statt.
Bürdermeister Nils Drescher und Kreisrätin Renate Schmidt sprachen Grußworte. Der OV-Vorsitzende berichtete sehr persönlich über seine Gruünde, in die SPD einzutreten. Die Festrede hilet Daniel Born, unser Landtagsvizepräsident. Michelle und Leonie Kontos umrahmten das Fest mit brillantem Spiel auf dem Flügel.
Hier die Rede des OV-Vorsitzenden Prof. Dr. Jürgen Kegler:
Ansprache 125 Jahre SPD Ortsverein
Werte Festversammlung,
Ich möchte Sie auf eine kurze Reise einladen. Sie beginnt bei meinem Eintritt in die SPD im Jahr 1975. Es war für mich ein besonderes Jahr: Ich hatte meine Promotionsurkunde erhalten und durfte mich fortan mit dem Doktortitel schmücken. Mein Sohn wurde geboren und ich gelobte, von nun an nicht mehr zu rauchen. Das habe ich seitdem auch nie mehr getan. Ich begann meine Ausbildung im Vikariat bei der Evangelischen Landeskirche in Baden. Mein erster Einsatz war an der Friedenskirche in Handschuhsheim, wo sich nach einer Predigt von mir in der Friedenskirche ein Friedensarbeitskreis gründete. Und ich beschloss, in die SPD einzutreten. Ich will es ganz persönlich formulieren. Meine Entscheidung, Mitglied einer sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Partei zu werden, war in besonderem Maße durch die sog. Ostpolitik beeinflusst. Willy Brandt und seine Friedenspolitik. Aussöhnung mit den Nachbarn, gegen die man Krieg geführt hatte, sein Kniefall in Polen – das war eine Perspektive für ein Entwicklung hin zu einem friedlichen Europa. Versöhnung ist das nicht eine christliche Vokabel!?
Beim Eintritt in die SPD war ich noch Juso. Ich wohnte damals in Dossenheim und es gab eine aktive Jusogruppe, die wenig später die Mehrheit im Vorstand des Ortsvereins stellte. Sie wählte mich dann zum Vorsitzenden. Eine Besonderheit aus dieser Zeit war die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), die Wahl von Peter Denger zum Bürgermeister in einem sonst mehrheitlich konservativen Dorf, und die Gründung eines privat organisierten Ganztagkindergarten, da es nur zwei kirchliche gab, die noch die traditionellen Öffnungszeiten hatten, die es alleinerziehenden Mütter oder voll erwerbstätigen Ehegatten sehr erschwerte, ihre Kinder zu fördern und sie Erfahrungsfelder für soziale Kontakte erleben zulassen.
Von Rolf Rendtorff wurde ich 1980 zu einem Vortrag eingeladen: Warum ich als Pfarrer Mitglied der SPD bin. Der erste Grund war, dass sich die Evangelische Kirche seit dem Kaiserreich immer an den Herrschenden orientiert hat – die Arbeiterschaft wurde weitestgehend nicht beachtet. Der zweite Grund war, dass ein Christ ein großes Vorbild hat: Jesus von Nazaret. Jesus wendet sich den Armen, Ausgestoßenen, den Randgruppen, Zöllnern, Huren, Behinderten zu; diese Zuwendung schließt eine Kritik an Vermehrung von Reichtum als Lebensziel ein.
In kurzen Stichworten möchte ich Punkte nennen, bei denen mir eine Nähe sozialistischer (sozialdemokratischer) Politik zu christlichen Werten/Traditionen gegeben zu sein scheint:
1. Friedenspolitik (Aussöhnung mit Feinden)
2. Reform des Bodenrechts (die von Gott geschenkte Erde darf nicht nur wenigen Gehören)
3. Soziale Sicherheit (die Solidarorganisation in Krankheits-, Unfall-, Renten-, Witwen-, Waisen-, und Arbeitslosen-Versicherungen sind Formen praktizierter Nächstenliebe)
4. gerechter Lohn (entspricht Jesu Gleichnis vom Weinbergbesitzer, jedem muss ein ausreichender Lohn zum Leben gegeben werden)
5. Entwicklungspolitik (wir sind die Reichen, Lazarus sitzt vor der Tür)
6. Eintreten für Minderheiten (was ihr getan habt einem dieser meiner geringsten Brüder...)
7. Umweltpolitik (Gott hat uns die Welt gegeben, sie zu bebauen und au schützen; Raubbau an der Natur ist Sünde gegen die Schöpfung)
8. Damit Sie nicht erschrecken: Die Sozialisierungsforderung stand im Ahlener Programm der CDU von 1949!
Was mir besonders gut gefallen hat in den ersten Jahren in der SPD: der gute Zusammenhalt und die schöne Gemeinschaft (mit Festen) im Ortsverein.
Als Pfarrer in Eppelheim von 1984 bis 1996 war mir klar: keine Parteipolitik auf der Kanzel, aber Präsenz in den Mitgliederversammlungen. Die Besonderheit war, dass mit Hugo Giese und Lothar Wesch SPD-Mitglieder im Kirchengemeinderat saßen und Hans Stephan Vorsitzender der Gemeindeversammlung war. Mir war damals wichtig, die Grundfragen nicht aus dem Auge zu verlieren: Unterstützung von Armen durch Organisation von Frühstück im Winter, Kollekte für ein Krankenhaus in Burkina Faso und zwei Brücken: Nach Polen und Südafrika in eine schwarze Gemeinde eines Townships um zeitgleich einen Kontakt über den eisernen Vorhang und über die Apartheid hinweg zu organisieren. Das war und ist in Kirchengemeinden oft leichter als in einem Ortsverein.
Den Fall der Mauer mit dem folgenden Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands habe ich exakt bei einer Rückreise von Polen an der deutsch-polnischen Grenze „erlebt“. Dass dies friedlich geschehen konnte, ist großartig. Eine Frau in der Gemeinde fragte mich, ob ich ihr die Kirche aufschließen könnte. Sie wolle Gott danken, dass er ihre Gebete erhört hatte.
Im Jahr der 100 Jahrfeier des SPD-Ortsvereins war ich noch Dekan im Mosbach. Dort haben wir eine gGmbH zur Betreuung und bezahlter Beschäftigung von Menschen, die lange Zeit in psychiatrischer Behandlung waren und nach der Rückkehr in ihre Dörfer / Familien unbedingt Unterstützung brauchten - in sozialer und finanzieller brauchten. Auch in Mosbach habe ich durch Teilnahme an Mitgliederversammlungen der SPD viele gute und schöne Kontakte knüpfen können. Das ist das Schöne: wo immer man hinkommt, findet man Mitstreiter, die einen Blick für Bedürftige haben.
Mit Anjas meinem Umzug nach Plankstadt im Jahr 2000 konnte ich mich nur eingeschränkt engagieren, da ich in Karlsruhe beim EOK stellv. Personalreferenz und zugleich zuständig für die Ausbildung der Vikarinnen und Vikare war. Ich habe auch hier in Plankstadt sehr schnell gut Kontakte zum SPD-Ortsverein gefunden. Besonders schön fand ich meine Gespräche mit Karl-Peter Wettstein, den ich schon seit vielen Jahren von Kreisdelegiertenkonferenzen kannte. Wenn man einfaches Mitglied ist, dann kann man den Ortsverein bei ganz elementaren Dingen helfen: Plakate kleben bei den Wahlkämpfen, Mithelfen bei Festen, Flyer verteilen.
Bundespolitische Ereignisse in dieser Zeit:
2000 Die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder beschließt einen (langfristig, aber terminierten) Ausstieg aus der Atomverstromung. Da ich u.a. gegen den Bau des AKW in Philippsburg demonstriert hatte, habe ich diesen Beschluss begrüßt. Leider wurde der Beschluss dann 2005 unter Angela Merkel wieder aufgehoben.
2001 Beschluss zur Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan nach den Terroranschlägen von Islamisten in den USA.
Diesen Auslandseinsatz habe ich nicht befürwortet. Das unrühmliche Ende haben wir noch in Erinnerung – und die afghanischen Flüchtlinge heute sind eine Folge dieses Einsatzes. Hier begann meine Kritik an Gerhard Schröders Politik. Sie wurde verstärkt durch die Beschlüsse zu Hartz IV (vor allem die Forderungen an die Bedürftigen zeigten das Profil eines rigiden Staates.
Gerhard Schröders Nein zur Beteiligung am US-Krieg gegen den Irak habe ich wieder begrüßt. Sie merken: die Mitgliedschaft in einer Partei heißt nicht, dass man alles, was „oben“ beschlossen hat, gut finden muss. Vielmehr gilt auch hier, kritisch sein und bleiben.
2007 wurde – entgegen von Wahlversprechungen – die Mehrwertsteuer von 16 aus 19% erhöht.
2008 war die Internationale Bankenkrise beginnende in den USA. Auch hier war ich wieder sehr kritisch: Dem finanziellen Engagement zur Stützung des Bankensystems entsprach in keiner Weise der Stützung der Armen und Bedürftigen in unserem Land.
Als dann 2011 die Nuklearkatastrophe in Fukushima dazu führte, dass die Regierung beschloss, den Atomausstieg bis 2023 zu realisieren, habe ich sehr begrüßt, obwohl mir die Frist zu lang erschien und die Regierung es versäumte, sofort in erneuerbare Energien in großem Stil zu investieren. Besonders unser Bundesland war (und ist) da kein Vorreiter.
Als dann im Jahr 2015 Flüchtlinge in großen Zahlen großzügig aufgenommen wurden, war ich zwar für die Aufnahme, aber: Deutschland war nicht darauf vorbereitet. Es gab -und gibt – kein gutes Eingliederungssystem. Die Integration durch Spracherwerb oder Eingliederung in den Wirtschaftskreislauf geschah im Wesentlichen durch Initiative engagierter Unternehmer und ehrenamtliche Bürgerinnen und Bürger. Auch SPD Mitglieder engagierten sich u.a. durch Sprachunterricht.
Das große sozialdemokratische Ziel, den Blick für die Bedürftigen in unserm Land, in unseren Kommunen nicht zu verlieren, hat unser SPD-Ortsverein im Jahr 2020 beschlossen, Spendensammlungen für die Tafel „Appel & Ei“ durchzuführen. Dank an Helmut und Jutta Schneider. Bisher sind 417 große Faltkisten von Spenderinnen und Spender gefüllt worden. Wir werden diese Aktion fortsetzen. Sie soll ein Zeichen sein, dass wir in der SPD den Blick für die Not der Bedürftigen nicht verschlossen haben.
Alle weiteren Aktivitäten unseres Ortsvereins finden Sie in unserer Jubiläumsfestschrift, die wir Ihnen als kleines Geschenk auf die Stühle gelegt haben. Viel Spaß beim Durchlesen! Und der Pressebericht in der Schwetzinger Zeitung von gestern zeigt: wir bleiben gegenüber den Beschlüssen von „oben“ kritisch. Das gehört zu einer lebendigen Demokratie.